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Ein Kaffee mit Serge – Teil 2

Aktualisiert: 27. Nov. 2019



Im ersten Teil des Interviews hat uns Serge erklärt wie er Plattenhändler geworden ist. Ausserdem sprachen wir über die Herausforderung, immer die richtige Platte am richtigen Tag bereit zu haben. Im zweiten Teil geht es vor allem über seine Beziehung zur Musikindustrie.


Vandals with Headphones: In Bern gibt es relativ viele Plattenläden auf engem Raum. Wie ist das Verhältnis untereinander?

Serge: Definitiv kollegial! Geht mir im Laden eine Platte aus, die ein Kunde gerne möchte, rufe ich auch gerne mal bei Rockaway Beach-Dänu an (ehemaliger Mitarbeiter im Chop, verkauft heute Platten im Rockaway Beach anm.d.Red) um zu fragen, ob er noch davon hat und schicke die Leute dann zu ihm.


Das war früher ganz anders! Zwischenzeitlich gab es rund 20 Plattenläden in Bern, auf engstem Raum! Damals galt bei den Neuheiten «dr Ender isch dr Gschwinder». Aber im Jahr 2019 einen auf Konkurrenz machen zu wollen, wäre sinnlos. Ich glaube, die Inhaber der anderen Plattenläden denken da ähnlich.


VWH: Denkt man an einen Plattenhändler, hat man oft das Bild des Freaks im Kopf, dem keinen Mainstream in die Ohren kommen kann. Kannst du selbst noch Mainstream-Radio hören?

S: Kommt sehr darauf an. Radiosender wie etwa Energy gar nicht. Auf SRF höre ich manchmal in die Specials rein, die am Abend laufen. Aber ich gehe nicht nach Hause und höre gleich Radio. Die meisten Sachen aus den Specials habe ich sowieso schon auf dem Radar, weil ich den ganzen Tag Musik höre.


Ich bin aber nicht grundsätzlich gegen alles Mainstreamige: Manchmal ist es gar nicht falsch, solche Dinge zu bestellen. Natürlich nicht alles: «Büezer Buebe» kommt mir zum Beispiel mit Bestimmtheit nicht ins Haus!


VWH: Machst du dir viele Gedanken zur Zukunft der Musik?

S: Klar. Ich merke zum Beispiel, dass es heute viel Einheitsbrei gibt. Viele Kids sind auch nicht mehr so Album-affin, sondern vielfach nur noch auf einzelne Songs ausgerichtet. Alles ist kurz und schnelllebig. So geht vielfach ein klarer Bezug zum Künstler verloren.


VWH: Apropos Einzelsongs: Wie stehst du zu Playlists?

S: Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu Playlists. Natürlich sollte es eigentlich um die Alben gehen. Heute kann man sich auf Spotify Playlists anhören und checkt gar nicht mehr, wenn die zu Ende ist und Spotify algorhythmisch passende Songs von sich gibt. Das finde ich schon ein bisschen bedenklich. Trotzdem veröffentliche ich selbst auch regelmässig Playlists über die sozialen Medien um halt auch auf diesem Weg auf spannende News aufmerksam zu machen.


VWH: Kommt es so zu einer Tendenz, Singles rauszuhauen, statt konzeptionelle Alben?

S: Es gibt beides. Einige Bands wollen meines Erachtens manchmal fast zu viel und jeden Geschmack innerhalb eines Albums bedienen. Oft klingt das Ganze aber dann eher etwas seelenlos. Es gibt aber auch noch viele Bands, die ihre Alben sehr schön konzeptionell gestalten.


VWH: Bist du viel an Konzerten unterwegs?

S: Ja, definitiv. Einerseits höre ich mir gerne Künstler an, die ich bereits kenne, andererseits aber auch kleinere Newcomer-Bands, bei denen es mir darum geht, sie live auszuchecken. Die richtigen Orte dafür sind für mich etwa das Bad Bonn, das Rössli oder halt eben die Indie-Openairs wie die bad Bonn Kilbi, das grossartige Ostfest oder meine eigenen kleinen aber feinen Instore-Gigs, welche ich regelmässig bei mir im Laden veranstalte.


VWH: Und hier in Bern, wie steht's um die hiesige Musikszene?

S: Fakt ist: Die meisten grossen Clubs, die es in den 90er-Jahren gab, gibt es heute noch. Dachstock, ISC, oder auch das Rössli. Letzteres finde ich etwas vom Wichtigsten für Bern. Ein extrem kreatives Booking ist dort am Werk. Die Musik hat sich verändert, aber es finden noch viele Gigs in Bern statt. Wir haben auch viele kreative und innovative Bands hier, aktuell grad auch in der Westschweiz! Ich denke da an Acts wie Louis Jucker (Coilguns), Emile Zoe, Hypercul, um nur ein paar wenige zu nennen…


VWH: Hier gibt es auch das Gurtenfestival, das ja schweizweit bekannt ist. Was hältst du davon?

Was mich stört ist, dass das Festival ausverkauft ist, noch bevor das Programm bekannt ist. Das stimmt mich nachdenklich: Es spielt gar keine Rolle, wer spielt. Sich treffen und etwas trinken ist ja schön und gut, aber so ist es einfach ein grosses Klassentreffen mit genug Alkohol.


Auch wenn Patent Ochsner dein Highlight sind, läuft etwas falsch: Die siehst du ja vorher schon sieben Mal in der Mühle Hunziken und gratis vor der Reithalle. Das sollte dann nicht auch noch auf dem Gurten das Highlight sein. Es fehlen mir diesbezüglich etwas die Progressivität und der Mut für zeitgemässes Booking!


Dass dies durchaus möglich wäre, zeigen verschiedene Orte: Im ISC machen sie es beispielsweise gut, dort sind sie offen und haben eine breite musikalische Range. Auch das Ostfest, das dieses Jahr an diesem Standort zum letzten Mal stattgefunden hat, gefällt mir sehr und gibt mir auch Hoffnung. Oder natürlich, wie schon gesagt, die Bad Bonn Chilbi.


VWH: Es wird immer wieder über eine grosse Konzerthalle auf dem Expo-Areal diskutiert. Wie wichtig wäre ein solcher Ort für Bern?

Es kommt sehr darauf an, wer das Booking macht. Grundsätzlich ist es keine schlechte Idee, aber wenn es dann nur Mainstream Veranstaltungen gibt, dann interessiert es mich nicht wirklich. Auf das würde es wahrscheinlich auch hinauslaufen, da die Halle gefüllt werden müsste.


Zum Schluss noch eine zentrale Frage: Wenn Ausserirdische auf die Welt kommen würden, welche drei Platten würdest du ihnen empfehlen?

«Madrugada – Industrial Silence», «Tool – Aenima» und «Mos Def – The Ecstatic». Wenn du mir diese Frage morgen noch einmal stellen würdest, würde ich dir wahrscheinliche andere Antworten geben. Ausser Madrugada, die wären immer dabei.


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