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Von der Strasse zum Rolling Stone, Album Review: Haftbefehl – «Das weisse Album»

Zwischen einzigartigen Beats und kompromisslosen Texten: Wieso Haftbefehl trotz musikalischer Weiterentwicklung echt geblieben ist und D.W.A. der logische Nachfolger ist zu Russisch Roulette.

Das Unikat Haftbefehl

Haftbefehls Jugend war geprägt von Problemen und einer unsicheren Zukunft. Mit vierzehn Jahren verlor er seinen Vater und wurde von der Strasse aufgenommen. Kriminalität prägte sein Leben, bis er deshalb schliesslich in die Türkei fliehen musste. Als er nach Deutschland zurückkehrte, fing er mit Musik an und wurde prompt zu einer festen Grösse in der Szene. Seine authentischen Texte und sein kompromissloser Style waren einzigartig, sodass kaum ein Rapper ihn und seine Musik in Frage stellten. Persönliche Strassenerlebnisse und der unaufhaltsame Drang ihm und seiner Familie ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen prägten seine Musik und machten ihn unverwechselbar. Zudem etablierte Haft einen völlig neuen Rapstil, der auf viele vermeintliche «Regeln» verzichtete und der Musik so einen einzigartigen Flavour verlieh. Das Gesamtpaket Haftbefehl gab der Strasse eine Stimme, die vor ihm womöglich nur Aggro Berlin oder Azad in Deutschland auf diesem Level geben konnten. Daraus wiederum entstand ein Impact auf die Szene, der Strassenrap wieder authentischer machte. Jeder der Haftbefehl hörte, wusste, dass der Offenbacher weiss, wovon er rappt und dass es genau darauf ankommen sollte.

D.W.A ist mehr als ein Rapalbum

Musikalisch ist D.W.A sehr vielfältig. Der Produzent Bazzazian hat das komplette Album produziert und gezeigt zu was für einer musikalischen Vielfalt er fähig ist. Während die Singles wie «RADW» oder «Morgenstern» brachiale Bretter sind, gibt es auf dem Album auch sehr melodiöse Songs, die weit über das simple Rapspektrum hinaus gehen, wie der Song «Hotelzimmer», der fast ganz ohne Drums zurechtkommt oder «Papa war ein Rolling Stone» featuring Marteria. Letzterer zeigt Haftbefehl von einer sehr emotionalen Seite. Im Song richtet er sich an seinen Sohn und spricht teilweile direkt zu ihm. Er erzählt ihm von seiner Vergangenheit und zeigt ihm auf, wie er der wurde, der er heute ist. Neben den moderneren Instrumentals sind auch eher klassischere Rapbeats wie die 1999 Parts im Repertoire von Bazzazian. Darauf erzählt Haftbefehl wie gewohnt von persönlichen Strassenerlebnissen. Auch das Leben als Rapstar ist Thema. Beispielsweise auf «Ice» featuring Gucci Mane, zelebriert er seinen Status und sein mittlerweile zufriedenes Leben. Ob Gucci-Boutique oder Rolex aus Ice: Haftbefehl kann es sich auf jeden Fall leisten, denn kaum einer hat es sich so erarbeitet wie er.

Die Produktion von Bazzazian rundet Haftbefehls Texte perfekt ab und gibt ihnen die nötige Untermalung. Die beiden sind ein eingespieltes Team, das weiss was sie am jeweils anderen hat. So widmet Haftbefehl Bazzazian auch einige Zeilen auf «1999 Pt. 5», in denen er ihn in den höchsten Tönen lobt. Er nennt ihn unter Anderem den «krassesten Produzenten».

Als Features hat sich der Offenbacher grosse Persönlichkeiten ins Studio geholt. Neben Marteria und Gucci Mane sind auch Shindy, Shirin David, Ufo361 und Capo auf dem weissen Album vertreten. Jeder Featurepart passt auf seine Art und Weise gut ins Album rein, ohne dass sich die Gastkünstler an Haftbefehls Stil anpassen mussten.

Das Album ist ein einheitliches Werk, das sich bestens am Stück hören lässt. Es ist viel melodiöser als man erwarten konnte anhand von Haftbefehls Diskografie, aber genau das ist es, warum man sich immer auf ein Haftbefehl-Album freut: Man weiss nie genau wie es klingen wird. Haftbefehl hat seiner Musik einen melodiöseren Anstrich verpasst mit vermehrt Gesangspassagen oder Autotuneeinsatz und das so, dass es klingt als hätte er nie etwas anderes gemacht. Wer den Haftbefehl aus der Anfangszeit mit dem von jetzt vergleicht, wird schnell merken wie er sich musikalisch weiterentwickelt hat und dies, ohne seinen unverwechselbaren Style zu verlieren oder weniger authentisch zu sein. Im Gegenteil: Die musikalische Reife macht das weisse Album von Haftbefehl zu mehr als nur einem gewöhnlichen Rapalbum, nämlich zu einem grossartig produzierten Kunstwerk.


Der logische Nachfolger zu «Russisch Roulette»

Man merkt, dass Haftbefehl musikalisch etwas Neues machen wollte und dennoch greift das Album auch alte Muster auf. Die auf dem Klassiker Russisch Roulette begonnene Reihe der 1999 Parts wird hier mit drei weiteren Teilen weitergeführt. Es war Haftbefehl wohl wichtig diese Storys aus seinem letzten Album fertig zu erzählen. Dies zeigt, dass seine Vergangenheit stets ein präsentes Thema für ihn ist und ihn in seinem musikalischen Schaffen massgebend beeinflusst. Russisch Roulette gilt als absoluter Klassiker, an dessen Standing Haftbefehl so wohl nie mehr herangekommen wäre. Genau aus diesem Grund wäre es fatal gewesen hätte er versucht erneut so ein Album zu machen, das «nur» den zornigen Haftbefehl zeigt. Mittlerweile ist Aykut Anhan älter, verheiratet und hat Kinder. Diese emotionale Reife ist auf dem Album auf jeden Fall zu hören, beziehungsweise prägt den Sound und die Texte mit und macht es umso spannender ihm zuzuhören. Auf den Songs «Depression & Schmerz» mit Capo und «Papa war ein Rolling Stone» ist dies gut zu hören.

Emotionale Reife heisst aber nicht, dass es nicht hart sein darf. Es gibt auf dem Album genug Songs in gewohnter Haftbefehl-Manier, nämlich brachiale Trapbanger. «Trapking» featuring Ufo361 klingt sehr zeitgemäss und passt gut zu Ufos Style. Der Kreuzberger überzeugt mit einem harten Part, der an die «Ich bin ein Berliner»-Zeit erinnert.

D.W.A. ist definitiv eine musikalische Weiterentwicklung von Haftbefehl, die das Album mehrmals hörbar macht. Die Songs sind gut durchdacht und nicht auf Radioplays oder Playlistenplacement ausgelegt, sondern tragen einzeln ihren Teil zum Gesamtwerk bei. So hören die Tracks auch nicht nach zwei Minuten auf, sondern laufen schön aus und geben auch dem Produzenten noch Platz auf dem Song. Die Mischung aus Härte und Emotionalität macht das weisse Album zu einem einzigartigen Kunstwerk, das durch Qualität zu überzeugen weiss und sich musikalisch komplett vom deutschen Standard 2020 abhebt. Ob es an den Status von Russisch Roulette herankommen wird, kann nur die Zeit zeigen. Eines ist aber auf jeden Fall sicher: D.W.A. ist ein klasse Album und womöglich Haftbefehls persönlichstes bis jetzt.




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